Surviving Disruption: Wie Automobilzulieferer den Übergang in die Ära der neuen Mobility meistern

Über die Disruption des Mobilitätsmarktes ist viel geschrieben worden. Kürzlich habe ich ein denkbares Szenario vorgestellt, wie der Wandel ablaufen könnte und aufgezeigt, welche Auswirkungen das beispielsweise auf den Handel und After Sales Services hätte. Und die Automobilzulieferer?

Disruption: Automobilzulieferer stehen vor großen Herausforderungen

Der CEO eines großen Automobilzulieferers sagte mir letzte Woche, er rechne in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit mehr und drastischeren Veränderungen als in den letzten dreißig. Um die Dimension dieser Aussage noch einmal zu verdeutlichen: In diese Zeit fielen unter anderem das Ende des Kalten Krieges und die Wiedervereinigung Deutschlands, die Einführung des Internets sowie eine massive Globalisierung inklusive der Öffnung Chinas und dessen Aufstieg zum größten Automobilmarkt der Welt. In den letzten dreißig Jahren hat sich die Zahl der verkauften Fahrzeuge weltweit verdoppelt, bei deutlich gestiegenen Verkaufspreisen.

Massive Veränderungen voraus

Die Unterschiede zwischen der alten Ära des Automobils und der neuen Ära der Mobilität sind massiv. Während sich die alte Ära durch stabile Märkte, kontinuierliches Wachstum und Konsolidierung auszeichnete, zeigt sich in der neuen Ära exponentielles Wachstum in Teilbereichen gepaart mit Stagnation und Schrumpfung in anderen Segmenten. Gleichzeitig nehmen die Komplexität und die Intensität des Wettbewerbs zu. Neue Unternehmen steigen in den Mobilitätsmarkt ein, da sich die Eintrittsbarrieren ändern. Wo in den letzten Jahrzehnten vielfach ein Technology Push vorherrschte, setzt sich heute vielerorts ein Market Pull durch, weil Menschen andere Formen der Mobilität aktiv einfordern. Wo sich die Fahrzeuge früher durch Größe und Leistungsfähigkeit abheben sollten, werden heute und in Zukunft Convenience, intelligente Tür-zu-Tür-Lösungen und Flexibilität gefordert. Wo die OEMs in der Vergangenheit von ihren Zulieferern einen globalen Footprint, Liefertreue und Qualitätsstandards forderten, verlangen sie heute zusätzlich eine hohe Anpassungsfähigkeit, Agilität und Flexibilität von ihren Zulieferern. Praktisch alle etablierten Hersteller versuchen, sich ein Stück vom Kuchen zu sichern, dass um attraktive Segmente wie Elektrifizierung, Vernetzung, Automatisierung und Dienstleistungen entsteht.

Surviving Disruption: Wie sieht die neue Ära der Mobiltät für Automobilzulieferer aus?

Wir sind also auf dem Weg in eine neue Ära der Mobilität. So weit, so gut. Aber wie sieht der Weg dorthin aus? Sicher ist, dass Automobilzulieferer in den kommenden Jahren mit einem raueren, durch Disruption geprägten Umfeld zu rechnen haben. Die Märkte werden weniger vorhersehbar, volatiler und dynamischer. Die große Herausforderung liegt darin, einen Automobilzulieferer erfolgreich durch die ‘Transition Period’ der kommenden Jahre zu führen: Das etablierte Geschäft – meist dominiert vom Verbrennungsmotor – ist noch profitabel und fordert Aufmerksamkeit und Ressourcen. Gleichzeitig ist aber klar, dass ein ‘Weiter-so’ langfristig in den Abgrund führen wird. In die neue Ära muss bereits heute massiv investiert werden, um nicht den Anschluss zu verpassen. Es entstehen Zielkonflikte. Was ist zu tun?

Surviving Disruption: 6 Maßnahmen für Automobilzulieferer

1. Eine klare Vision entwickeln

Jedes Unternehmen im Automobilmarkt braucht eine klare Vision, welche Rolle es in der neuen Ära spielen will. Diese Vision muss ein konkretes Bild einer faszinierenden und realisierbaren Zukunft des Unternehmens sein. Sie muss die Trends und Anforderungen der neuen Ära berücksichtigen. Oft ist in diesem Zusammenhang auch die Überprüfung der Mission, also des Unternehmenszwecks notwendig. Es müssen Fragen beantwortet werden wie: Was ist der Zweck unseres Unternehmens? Wer sind zukünftig unsere Kunden? Für welche Wirkung sind wir zuständig? Was ist die Basis unserer Alleinstellung? Was sind unsere zukunftsfähigen Schlüssel-Fertigkeiten? Welche Marktposition streben wir an? In welchen Geschäftsfeldern sind wir aktiv? Wie groß wollen wir in Umsatz und Mitarbeitern sein? Welches Know-how befähigt uns zu einem Höchstmaß an Leistung?

2. Wettbewerbsfähigkeit und Cashflows etablierter Geschäfte aufrechterhalten

Bei aller Begeisterung für das Neue: Die Basis für den Erfolg in der Zukunft ist auch das etablierte Geschäft. Auch dann, wenn Teile davon in der neuen Ära eine deutlich geringere oder gar keine Rolle mehr spielen werden. Um Investitionen in benötigte Fähigkeiten, Ressourcen und Marktzugänge stemmen zu können, braucht es die Ertragskraft der bestehenden Geschäftsfelder. Dies erfordert große Management Attention und klare Prioritäten ebenso wie eine herausragende Operational Excellence.

3. Geschäfts-, Produkt- und Projektportfolio auf die (neue) Vision ausrichten

Die Aktivitäten müssen auf die Vision ausgerichtet werden. Das bedeutet, nicht zielführende Aktivitäten zu stoppen, neu auszurichten oder außerhalb des Kernunternehmens weiterzuführen. In der Regel müssen auch grundlegend neue Aktivitäten gestartet werden. Viele Unternehmen haben in den letzten Monaten in diesem Zusammenhang bereits ihre Organisationsstruktur massiv verändert. Ganze Geschäftsbereiche werden zusammengelegt, ausgegliedert, neu geordnet oder verkauft.

4. Ausstiegszeitpunkt und -strategie definieren

Bei den meisten Automobilzuliefern hängt ein Teil des Geschäfts direkt oder indirekt vom Verbrennungsmotor ab. In einigen Fällen bis zu 100 Prozent. Langfristig wird der Verbrenner nur noch eine marginale Rolle in Nischen spielen. Daher ist es zwingend notwendig, zu definieren, wann der richtige Zeitpunkt für den Ausstieg ist und wie dieser gestaltet werden soll. Die Geschwindigkeit dieser Veränderung exakt vorherzusehen, ist nicht möglich. Die Prognosen von Experten schwanken zu extrem, die Zahl der Einflussfaktoren ist zu groß. Daher sollte hier eher nicht in Jahren gedacht werden, sondern eine Marktbeobachtung anhand konkreter Signale und Triggerpunkte erfolgen, die bestimmen, wann welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Radikalere Alternativen sind ein möglichst unmittelbarer Verkauf entsprechender Segmente angesichts der großen Unsicherheit oder das bewusste Durchsetzen einer ‘Last-Man-Standing-Strategie’, in der man die Konsolidierung des Segments aktiv vorantreibt, um am Ende in einem deutlich kleineren Markt einer der letzten Überlebenden zu sein.

5. Investition in neue Technologiefelder und Geschäftsmodelle

Zur Erreichung der eigenen Vision für die neue Ära sind in der Regel auch völlig neue Kompetenzen notwendig, vor allem in den Bereichen Elektrik, Elektronik, Vernetzung, Sensorik sowie Wissens- und Datenmanagement. Aber auch neue Materialien, die Fähigkeit zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle oder die Schaffung gänzlich anderer Marktzugänge können je nach angestrebter Positionierung von Bedeutung sein. Um den langwierigen organischen Aufbau der jeweils benötigten Fähigkeiten zu beschleunigen, setzen viele Unternehmen auf M&A-Aktivitäten oder die Zusammenarbeit mit Start-ups im Rahmen von Inkubatoren- und Accelerator-Programmen.

6. Konsequenz in der Umsetzung und Kulturwandel

Wirksam wird die Strategie erst durch die konsequente Umsetzung im Alltag. Gewohnheiten und Bequemlichkeiten können die Veränderung erschweren oder sogar aufhalten. In den meisten etablierten Unternehmen wird die Transformation nicht gelingen, wenn keine Veränderung in der Unternehmenskultur stattfindet. Peter Drucker sagte: “Culture eats strategy for breakfast” und Jack Welch: “If the rate of change on the outside exceeds the rate of change on the inside, the end is near”. Die Transformation eines Automobilunternehmens ist ein Marathonlauf – unter Zeitdruck.